Voraussetzung für die Zusammenführung von Angehörigen im Rahmen der Dublin-III-VO ist zunächst, dass die Verordnung anwendbar ist, vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO. Hierfür gelten folgende allgemeine Grundsätze:
Liegen diese Voraussetzungen vor, ist in einem nächsten Schritt zu klären, in welchem Verhältnis die asylsuchende Person (im Folgenden auch: nachziehende Person) zu dem Familienmitglied im anderen Mitgliedstaat (im Folgenden auch: Referenzperson) steht, mit dem sie eine Zusammenführung begehrt, und welchen Status im Verfahren bzw. welches Aufenthaltsrecht die Referenzperson in dem Mitgliedstaat hat. Anschließend ist die Zuständigkeit des Mitgliedstaats anhand der Kriterien der Dublin-III-VO zu prüfen.
Achtung! Es ist zu beachten, dass es bei der Prüfung der Zuständigkeit des Mitgliedstaates bzw. den Voraussetzungen der Familienzusammenführung auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung der nachziehenden Person ankommt, vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO ("Versteinerungsklausel"). Das bedeutet, dass alles was vor oder nach der Asylantragstellung der nachziehenden Person passiert (z.B. Minderjährigkeit der nachziehenden Kinder, Aufenthaltstatus der Referenzperson), für die Familienzusammenführung nach der Dublin-III-VO rechtlich unbeachtlich ist.
Achtung! Das Verfahren zur Familienzusammenführung nach der Dublin-III-VO enthält strenge Fristen! Das Versäumen einer Frist führt zu einem Übergang der Zuständigkeit an den die Frist versäumenden Mitgliedstaat. Näheres zu den Fristen, vgl. Abschnitt "Verfahrensablauf".
Um zu bestimmen, wer im Rahmen der Verordnung zusammengeführt werden kann, ist es wichtig, zunächst die Begrifflichkeiten der Dublin-III-VO zu verstehen und die verwandtschaftliche Beziehung richtig einzuordnen. So ist im Rahmen der Dublin-III-VO zu unterscheiden zwischen
Als „Antragsteller“ bezeichnet die Verordnung eine drittstaatsangehörige (d.h. nicht staatsangehörige Person eines der Mitgliedstaaten der Verordnung) oder staatenlose Person, die auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz (Asylantrag) gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde, vgl. Art. 2 Bst. a und c der Dublin-III-VO. In den nachfolgenden Ausführungen wird ein Antragsteller im Sinne der VO auch als asylsuchende bzw. schutzsuchende Person bezeichnet.
„Begünstigte internationalen Schutzes“ sind gemäß Art. 2 Bst. f Dublin-III-VO Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, denen internationaler Schutz, also Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz im Sinne von Art. 2 Bst. a der Richtlinie 2011/95/EU zuerkannt wurde. Erfasst sind damit anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte, nicht hingegen z.B. Personen mit nationalen Abschiebungsverboten. In den nachfolgenden Ausführungen wird eine solche Person auch als schutzberechtigte Person bezeichnet.
Soweit die Dublin-III-VO von „unbegleiteten Minderjährigen“ spricht, ist darunter jede drittstaatangehörige oder staatenlose Person zu verstehen, die unter 18 Jahre alt ist und ohne Begleitung eines für sie nach dem Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Dublin Mitgliedstaates verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet des Dublin Mitgliedstaates einreist, solange die Person sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet, vgl. Art. 2 Bst. j Dublin-III-VO. Mit erfasst werden von diesem Begriff zudem minderjährige Personen, die nach Einreise in einen Dublin Mitgliedstaat dort ohne Begleitung zurückgelassen werden.
Die Gruppe der „Familienangehörigen“ ist im engeren Sinne zu verstehen und umfasst nach der Verordnung nur die Mitglieder der sogenannten Kernfamilie, vgl. Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO, sofern diese bereits im Herkunftsland bestanden hat (Ausnahme: bei Anwendung von Art. 9 Dublin-III-VO, hierzu ausführlich nachstehend in den einzelnen Vorschriften).
Mitglieder der Kernfamilie sind im Einzelnen:
Als „Verwandte“ bezeichnet die Verordnung in Art. 2 Bst. h ausschließlich
Der Personenkreis der „Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung“ wie ihn Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO benennt, ist nicht näher in den Bestimmungen der Verordnung definiert und kann daher neben Mitgliedern der Kernfamilie, Geschwistern und Verwandten zudem weitergehende Familienangehörige umfassen.
Nach diesen in der Dublin-III-VO aufgeführten familiären Beziehungen richtet sich, ob und unter welchen Voraussetzungen die Familienzusammenführung möglich ist. Im Nachfolgenden werden diese rechtlichen Möglichkeiten anhand der Zuständigkeitskriterien der Verordnung im Einzelnen erläutert.
Die Regelung nach Art. 9 Dublin-III-VO greift, wenn die nachziehende Person, die auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten einen Asylantrag stellt, einen schutzberechtigten Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat hat, d.h. einen Familienangehörigen, der als Begünstigter internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat ein Aufenthaltsrecht besitzt.
Der Mitgliedstaat, in dem sich der schutzberechtigte Familienangehörige aufhält, ist dann für die Durchführung des Asylverfahrens der schutzsuchenden Person zuständig, sofern ein solcher Wunsch schriftlich geäußert wird.
Die Regelung hat somit drei Voraussetzungen:
Reist mit der asylantragsstellenden Person auch eine minderjährige Person, welche der Definition eines Familienangehörigen gemäß Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO entspricht, ist ihre Situation nach Maßgabe der Verordnung als untrennbar miteinander verbunden zu betrachten. Die Zuständigkeit obliegt in solchen Fällen demselben Mitgliedstaat, vgl. Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO, soweit es dem Kindeswohl dient, welches als vorrangige Erwägung in allen Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit zu berücksichtigen ist, vgl. Art. 6 Dublin-III-VO. Gleiches gilt für minderjährige Personen, welche nach der Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten geboren werden.
Dem folgend ergeben sich nachfolgende Konstellationen einer Zusammenführung mit einer bereits schutzberechtigten Person:
Anders als in den meisten übrigen Regelungen der Verordnung ist es im Fall der Zusammenführung mit einer schutzberechtigten Person unerheblich, ob die Familieneinheit bereits im Herkunftsland bestanden hat (also z.B. ob die Ehegatten schon verheiratet waren), vgl. insoweit Wortlaut des Art. 9 Dublin-III-VO.
Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, legt die Verordnung den Mitgliedstaat, in welchem sich der schutzberechtigte Familienangehörige aufhält, verbindlich als zuständigen Mitgliedstaat fest. Dieser Staat muss die schutzsuchende Person aufnehmen, für ein Ermessen der Behörden ist hier kein Raum. Weitere Nachweise (etwa über die Lebensunterhaltssicherung oder über ausreichenden Wohnraum) sind nicht erforderlich.
Hinweis! Oftmals kommt in diesen Fällen auch eine Familienzusammenführung nach Maßgabe des AufenthG im Visumsverfahren in Betracht, vgl. Abschnitt Außerhalb Europas. Dies sollte in der Beratung geprüft und kann gegebenenfalls parallel in die Wege geleitet werden.
Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt und auch keine anderweitigen Zuständigkeitskriterien zur Zusammenführung der Familie einschlägig, kann dennoch ein Übernahmeersuchen zur Zusammenführung im Rahmen des Ermessens auf Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO gestützt werden (hierzu näher nachfolgend). Daher ist auch in solchen Fällen eine entsprechende Kontaktaufnahme mit den zuständigen Behörden ratsam.
Hat die nachziehende Person, die auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten einen Asylantrag stellt, in einem anderen Mitgliedstaat eine familienangehörige Person (Referenzperson), die bereits einen Asylantrag gestellt hat, ohne dass darüber bislang entschieden wurde, ist dieser Mitgliedstaat auch für die Durchführung des Asylverfahrens der nachziehenden Person zuständig, vgl. Art. 10 Dublin-III-VO.
Der Wunsch zur Familienzusammenführung schriftlich durch die betroffenen Personen zum Ausdruck gebracht werden muss.
Die Regelung hat drei Voraussetzungen:
Die Referenzperson muss sich selbst noch zwischen Asylantragstellung und Erstentscheidung befinden. Von einer "Erstentscheidung in der Sache" ist nach Ansicht des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits mit Zustellung der ersten Behördenentscheidung auszugehen. Die ständige Rechtsprechung geht hingegen einheitlich davon aus, dass eine "Erstentscheidung in der Sache" erst mit Rechtskraft, also erst dann vorliegt, wenn über einen eingelegten Rechtsbehelf endgültig entschieden wurde (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3.09.2019 - OVG 6 N 58.19, sowie OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.8.2021 – 1 LA 43/21 – asyl.net: M29952).
Hinweis! Bei Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots durch das BAMF sollte daher stets auch eine etwaige Familienzusammenführung bedacht werden, wenn über das Einlegen von Rechtsmitteln nachgedacht wird.
Auch nach Maßgabe des Art. 10 Dublin-III-VO können ausschließlich Mitglieder der Kernfamilie von dieser Möglichkeit des Nachzugs Gebrauch machen. Anders als bei Art. 9 Dublin-III-VO ist im Rahmen von Art. 10 Dublin-III-VO zudem erforderlich, dass die familiäre Bindung schon im Herkunftsland bestanden hat. Die im Rahmen von Art. 9 Dublin-III-VO getroffenen Ausführungen zu miteingereisten, minderjährigen Personen und der Betrachtung des Kindeswohls sind entsprechend zu berücksichtigten, vgl. Abschnitt Zusammenführung mit einer schutzberechtigten Person, Art. 9 Dublin-III-VO.
Dem folgend ergeben sich nachfolgende Konstellationen einer Zusammenführung mit einer bereits schutzberechtigten Person:
Erfüllen die Betroffenen die vorbezeichneten Voraussetzungen, bestimmt auch in diesem Fall die Verordnung den Mitgliedstaat, in welchem sich der Familienangehörige (der bereits zuvor einen Asylantrag gestellt hat) aufhält, verbindlich als zuständigen Mitgliedstaat. Für ein Ermessen der Behörden ist kein Raum. Der Nachweis der Lebensunterhaltssicherung oder ausreichenden Wohnraums muss nicht erbracht werden.
Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, weil z.B. die Familie im Herkunftsland noch nicht bestand und auch keine anderweitigen Zuständigkeitskriterien zur Zusammenführung der Familie einschlägig, kann dennoch ein Übernahmeersuchen zur Zusammenführung im Rahmen des Ermessens auf Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO gestützt werden (hierzu näher nachfolgend). Daher ist auch in solchen Fällen eine entsprechende Kontaktaufnahme mit den zuständigen Behörden ratsam.
Für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats bei nachziehenden unbegleiteten minderjährigen Personen enthält Art. 8 Dublin-III-VO Spezialregelungen, welche der Anwendung der Art. 9 und 10 Dublin-III-VO vorgehen.
Achtung! Hiervon ist die Konstellation zu unterscheiden, bei der eine Zusammenführung zum unbegleiteten Minderjährigen begehrt wird. Diese Fälle unterfallen weiter der Anwendung der Art. 9 und Art. 10 Dublin-III-VO.
Befindet sich eine unbegleitete, minderjährige Person auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten, so ist hinsichtlich der Durchführung des Asylverfahrens der Mitgliedstaat zuständig, in welchem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister rechtmäßig aufhalten, sofern dies dem Wohl des Kindes dient, vgl. Art. 8 Abs. 1 Dublin-III-VO.
Die Regelung hat vier Voraussetzungen:
Unbegleiteten, minderjährigen Personen gleichgestellt werden verheiratete, minderjährige Personen, soweit sich ihr Ehepartner nicht rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhält, vgl. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Dublin-III-VO. In diesem Fall bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem Aufenthaltsort der Eltern, eines anderen Erwachsenen - der nach dem Recht oder den Gepflogenheiten des Mitgliedstaates für das Kind zuständig ist – oder eines seiner Geschwister.
Die Regelung erweitert den engen Begriff der Familienangehörigen, um die (erwachsenen und minderjährigen) Geschwister der nachziehenden minderjährigen Person.
Die Referenzperson muss sich rechtmäßig im anderen Mitgliedstaat aufhalten. Dies beurteilt sich nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats. Der Begriff ist weit gefasst, um den Schutz des Kindeswohls umfassend zu gewähren. Für Deutschland wird bespielsweise eine Duldung als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinn der Dublin-III-VO anerkannt, für die Aufenthaltsgestattung ist dies strittig (vgl. Ausführungen in der Arbeitshilfe "Familienzusammenführungen nach Deutschland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung. Anspruch – Verfahren – Praxistipps", Stand Dezember 2022). Der rechtmäßige Aufenthalt der Referenzperson muss zum Zeitpunkt der Asylantragsstellung der minderjährigen nachziehenden Person vorliegen.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist in allen Fällen der Familienzusammenführung ausgehend von minderjährigen Asylsuchenden die vorrangige Achtung des Kindeswohls, vgl. Art. 6 Abs. 1 Dublin-III-VO und Erwägungsgrund 13 der Dublin-III-VO mit Bezugnahme auf die Regelungen der UN Kinderrechtskonvention (KRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Ch).
Es wird grundsätzlich angenommen, dass eine Zusammenführung mit Familienangehörigen oder Geschwistern dem Kindeswohl dient (vgl. EuGH, Urteil vom 01.08.2022 - C-19/21 I, S gg. Niederlande (Asylmagazin 9/2022, S. 320 ff.) - asyl.net: M30813). Nur wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies nicht der Fall ist, wird das Kindeswohl gesondert geprüft. Es ist grundsätzlich ratsam das Jugendamt sowie betreuende Personen und Vormünder*innen so früh wie möglich in das Verfahren mit einzubinden. Für weiterführende Fragen und Probleme kann es hilfreich sein, sich an den Internationaler Sozialdienst im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. oder den Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. zu wenden.
Hinweis! Auch wenn es im Rahmen von Art. 8 Dublin-III-VO rechtlich nicht erforderlich ist, empfiehlt es sich ein Schreiben mit der schriftlichen Zustimmung der Betroffenen zur Familienzusammenführung bei der zuständigen Behörde einzureichen. Nicht zuletzt, da oftmals auch geprüft wird, ob andere Normen einschlägig sind, die gegebenenfalls wiederum eine schriftliche Zustimmung voraussetzen.
Halten sich Verwandte einer minderjährigen, unbegleiteten Person in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig auf und wurde im Rahmen einer Einzelfallprüfung festgestellt, dass diese in der Lage sind, für das Kind zu sorgen, kommt eine Familienzusammenführung auch mit einer Person dieses Kreises in Betracht, soweit dies dem Wohl des Kindes dient, vgl. Art. 8 Abs. 2 Dublin-III-VO.
Die Regelung hat fünf Voraussetzungen:
Im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 Dublin-III-VO muss zusätzlich nachgewiesen werden, dass die verwandte Person fähig ist, für die minderjährige Person Sorge zu tragen. Dies wird von dem Mitgliedstaat, indem sich die Referenzperson aufhält, beurteilt. Es handelt sich dabei um eine Einzelfallbetrachtung und ist nicht mit den für den Familiennachzug nach dem Aufenthaltsgesetz grundsätzlich erforderlichen Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung und ausreichenden Wohnraumes gleichzusetzen. Diese Aspekte können bei der Entscheidung zwar mit einbezogen werden, dürfen jedoch nicht allein entscheidend sein.
Befinden sich Personen der verschiedenen vorbezeichneten familiären Beziehungen in unterschiedlichen Mitgliedstaaten, ist im Rahmen der Zuständigkeit und damit auch für die Familienzusammenführung das Wohl des Kindes maßgeblich, vgl. Art. 8 Abs. 3 Dublin-III-VO.
Art. 16 Abs. 1 Dublin-III-VO sieht vor, dass eine auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten asylsuchende Person mit ihrem Kind, einem Geschwister- oder Elternteil, das bzw. der sich in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig aufhält, zusammengeführt werden soll, wenn entweder die asylsuchende Person selbst oder aber die Referenzperson auf die Unterstützung des anderen Familienmitglieds angewiesen ist, die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat und das Familienmitglied tatsächlich in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen. Die betroffenen Personen müssen einen diesbezüglichen Wunsch schriftlich äußern.
Die Regelung hat sechs Voraussetzungen:
Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Soll-Vorschrift handelt. Dies bedeutet, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen im Regelfall eine Zusammenführung zu erfolgen hat.
Die Regelung bezieht sich nicht auf den Begriff der Familienangehörigen gem. Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO. Zum begünstigten Personenkreis der Regelung gehören dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Dublin-III-VO folgend die Eltern, Geschwister, sowie (auch volljährige und verheiratete) Kinder. Die familiäre Bindung muss bereits im Herkunftsland bestanden haben. Kritisch ist zu betrachten, dass durch die Vorschrift nur bestimmte familiäre Beziehungen aufgezählt werden. Im Fall anderer Personengruppen kommt die Möglichkeit einer Zusammenführung im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO in Betracht (hierzu näher nachfolgend), sofern nicht bereits vorrangige Zuständigkeitskriterien einschlägig sind.
Der Aufenthalt der Referenzperson im Mitgliedsstaat muss rechtmäßig sein. Vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt "Besonderheiten bei unbegleiteten minderjährigen Personen, Art. 8 Dublin-III-VO".
Die Notwendigkeit der Unterstützung durch ein Familienmitglied kann sich im Rahmen des Art. 16 Dublin-III-VO auf beiden Seiten ergeben. Die Gründe, die Abhängigkeit hervorrufen können, sind in Art. 16 Abs. 1 Dublin-III-VO abschließend aufgezählt:
Die Person muss aufgrund einer dieser Gründe auf Unterstützung des Familienmitglieds angewiesen sein (zur genaueren Definition der einzelnen Gründe, vgl. Ausführungen in der Arbeitshilfe "Familienzusammenführungen nach Deutschland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung. Anspruch – Verfahren – Praxistipps", S. 19f).
Der Abhängigkeitsgrund und die Notwendigkeit der Unterstützung müssen glaubhaft gemacht werden. Die erfolgt in der Regel durch die Einreichung von Schriftstücken, vgl. Art. 11 Abs. 2 der
DurchführungsVO zur Dublin-III-VO. In der Praxis sind derartige Nachweise in einigen Mitgliedstaaten jedoch schwer zu erbringen. Auch wenn der Nachweismaßstab im Rahmen der Dublin-III-VO an sich niedrig gehalten ist, wird in der behördlichen Praxis oft ein hoher Maßstab angesetzt.
Weiter ist es wichtig darzulegen, dass das andere Familienmitglied in der Lage ist, die notwendige Unterstützung zu leisten und der konkreten Hilfsbedürftigkeit (zumindest teilweise) abhelfen zu können. Hierfür ist es hilfreich, dem Antrag entsprechende Nachweise beizufügen (z.B. aussagekräftige ärztliche Stellungnahmen, schriftlicher Wunsch die Unterstützung leisten zu wollen, Nachweise sozialer oder psychologischer Eignung, Angaben zu bereits geleisteter Unterstützung, vgl. hierzu auch Anhang VII der DurchführungsVO zur Dublin-III-VO).
In den Fällen, in denen sich die abhängige Person und ihre Familienmitglieder in demselben Staat befinden, soll dieser in der Regel zuständig sein (es soll also insbesondere eine Familientrennung durch Überstellung in einen anderen Staat vermieden werden, Art. 16 Abs. 1 Dublin-III-VO). Wenn sie sich in unterschiedlichen Staaten aufhalten, wird der Staat zuständig, in dem sich Familienmitglieder schon rechtmäßig aufhalten. Falls die abhängige Person aber längerfristig reiseunfähig ist, wird der Staat zuständig, in dem sie sich aufhält. In dieser Konstellation trifft den zuständigen Staat dann allerdings keine Verpflichtung, die Familienmitglieder aufzunehmen, vgl. Art. 16 Abs. 2 Dublin-III-VO.
Anders als in den Fällen der Art. 8, 9 und 10 Dublin-III-VO, welche für die Möglichkeit einer Familienzusammenführung darauf abstellen, dass die jeweiligen Voraussetzungen bereits bei erstmaliger Asylantragstellung der die Überstellung begehrenden Person vorliegen (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO), kann das Abhängigkeitsverhältnis im vorliegenden Fall des Art. 16 Dublin-III-VO auch nach Asylantragstellung entstehen.
Kommt eine Familienzusammenführung nach Maßgabe der Regelungen der Art. 8, 9, 10 oder 16 Dublin-III-VO nicht in Betracht oder scheitert deren Anwendung im Einzelfall aus verfahrensrechtlichen Gründen wie etwa bei Fristablauf (hierzu näher Verfahrensablauf) eröffnet Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO die Möglichkeit, Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, zusammenzuführen.
Da für ein Aufnahmegesuch gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO keine Fristen durch die Verordnung vorgegeben sind, kann es an den anderen Mitgliedstaat gerichtet werden, solang keine abschließende Entscheidung hinsichtlich des Asylantrags der nachziehenden Person getroffen wurde.
Die Regelung hat vier Voraussetzungen:
Die Regelung erlaubt die Zusammenführung von Personen jeder verwandschaftlichen Beziehung. Damit wird auch Personen, welche nach der Begrifflichkeit der Verordnung nicht zum Kreis der Kernfamilie, Geschwistern oder Verwandten gehören, die Möglichkeit einer Familienzusammenführung eingeräumt.
Die Regelung stellt keine expliziten Anforderungen an den Aufenthalt der Referenzperson. Es ist dennoch davon auszugehen, dass ein Aufenthalt von einer gewissen Dauer erforderlich ist.
Laut der Regelung können sich die humanitären Gründe insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben. In der Praxis legen die Mitgliedstaaten dieses Merkmal sehr restriktiv aus. Je näher die Personen miteinander verwandt sind und je stärker der Schutz der Familieneinheit betont wird, desto eher werden die vorgebrachten Gründe berücksichtigt (vgl. Ausführungen und Fallbeispiele in der Arbeitshilfe "Familienzusammenführungen nach Deutschland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung. Anspruch – Verfahren – Praxistipps", Stand Dezember 2022)
Es liegt jedoch allein im Ermessen eines Mitgliedstaates, ob er auf der Grundlage des Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO überhaupt ein Aufnahmegesuch an den anderen Mitgliedstaat richtet. Auch der um Aufnahme ersuchte Mitgliedstaat kann in diesen Fällen nach Ermessen entscheiden, ob er der Familienzusammenführung zustimmen will oder nicht. Daher muss ein Antrag auf Familienzusammenführung durch die nachziehende Person ausführlich begründet und mit entsprechenden Nachweisen unterstützt werden.
Es handelt sich um eine Auffangnorm, die eine Trennung der Familien aufgrund der strikten Anwendung der Zutändigkeitskriterien der Dublin-III-VO verhindern soll. In der Praxis wird die Regelung von den Mitgliedstaaten jedoch sehr restriktiv gehandhabt, sodass eine Familienzusammenführung über Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO eher selten gelingt.
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